· 

Wein lagern - oder gleich trinken?

Wein ist ein Lebensmittel ohne Ablaufdatum. Anstatt von Mindesthaltbarkeit, welches bei Getränken unter 10 % Alc. angegeben werden muss, spricht man beim Wein von Trinkreife. Allerdings wird und kann die ideale Trinkreife bei Weinen nicht auf dem Etikett angegeben werden, da dies niemand analytisch feststellen kann. Wer also die ideale Trinkreife erfahren möchte, sollte sich auf die Erfahrung eines Weinhändlers oder Winzers verlassen. Dieser spricht dann auch vom (Lagerungs-) Potenzial. Mit viel Übung könnt ihr Euch aber auch einen gewissen Erfahrungsschatz aneignen.

Doch selbst als nunmehr seit über knapp 30 Jahre „praktizierender Weintrinker und -vertreiber“ erlebe ich immer wieder Überraschungen. Insofern kann man sich an das Thema nur annähern, sodass Garantien nicht zu vergeben sind. Meist wurde ich aber positiv überrascht!

Parameter für eine gute Lagerfähigkeit sind: Alkohol, Restzucker, Sulfite, Tannine, die Säurestruktur, der Verschluss, die Flaschengröße. Immer auch vorausgesetzt ist eine gute dunkle Lagerung bei gleichbleibend eher niedrigen Temperaturen.

Welchen Sinn hat es aber überhaupt, Weine zu lagern?

Es gibt Weine, die man besser so früh wie möglich trinkt. Dazu zählt z.B. der steirische Junker, der von seiner frischen Frucht lebt und u.U. schon nach einem halben Jahre diese Jugendlichkeit verloren hat. Übrig bleibt dann nur noch ein säuerlich schmeckendes Durchschnittsgetränk. Dazu zählen aber auch beispielsweise leichte Welschrieslinge. Es handelt sich dabei meist um kalt vergorene Weine, die schnell ihre Primärfruchtigeit ausspielen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von reduktiven Weinen, also Weinen die auf ihre primäre Frucht reduziert sind.  

Als nächstes gibt es Weine, die insofern eine gewisse Lagerfähigkeit haben, dass sie für 2-3 Jahre ihr Niveau gut halten können. Dazu zählen z.B. die Gutsweine aus Deutschland oder die Klassik-Weine aus Österreich. Das Gros der Sauvignon blancs gehört auch in diese Kategorie.

So – und dann kommen noch die Weine, die ein wirkliches Lagerpotenzial haben, d.h. diese Weine werden mit Lagerung tatsächlich BESSER! Es gibt sogar Weine, die in der Jugend fast unnahbar sind -z.B. Weine aus dem Madiran, die aufgrund der Tanninstruktur noch „wie vernagelt“ sind.

Erst kürzlich konnte ich wieder erfahren, dass z.B. der Blaufränkisch ein ausgezeichneter Langstreckenläufer ist. Das Thema im Weinclub, in dem wir uns 4x im Jahr zu einem bestimmten Thema treffen hieß: „10 Jahre und älter – hop oder top“. Dabei waren zwei Blaufränkisch von Birgit Braunstein und Paul Lehrner. Beide waren noch voll auf der Höhe und wirkten geradezu jugendlich. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich vor einigen Jahren, als meine Tochter Sophia volljährig wurde. Zu diesem Anlass reservierte ich mir eine ganze Serie an 97er Rotweinen. Der für mich beste Wein war dann ein Blaufränkisch Reserve vom Weingut Kirnbauer. Ein Wein, der 1997 für 10 € zu haben war! Thomas Kopfensteiner macht Blaufränkische, die sich mit einigen Jahren Lagerung eindeutig steigern. So haben wir in einer kleinen Runde erst kürzlich einen 11er Saybritz getrunken, der fantastisch schmeckte.

Ist es bei den Rotweinen v.a. der Gerbstoff, der die Lagerung maßgeblich beeinflusst, spielt beim Weißwein die Säure und die Restsüße eine wichtige Rolle. So haben wir im Weinclub einen 20 Jahre alten Riesling von Battenfeld-Spanier getrunken, der sich hervorragend entwickelt hat und sogar noch einige Jahre vor sich haben dürfte. Eine schöne Erfahrung durfte ich mal machen, als ich einen günstig erstandenen „Rheingauner“ aus dem Rheingau nach einigen Jahren öffnete. Ich habe den Wein immer nach hinten gestellt, da ich restsüße (der Deutsche sagt auch „feinherb“) Weine nicht besonders mag. Aber nach einigen Jahren der Lagerung passiert bei diesen Weinen ein kleines Wunder. Die Spannung aus Säure und Restsüße vermählt sich über die Jahre zu einem süß-saurem Geschmackserlebnis. Die sog. Edel-Firne bringt diesen Weinen eine weitere Note, welche sie förmlich mit Gold überzieht. Es fällt mir schwer, den Geschmack dieser Edelfirne zu beschreiben. Das muss man einfach mal probiert haben. Analog zu diesem „Rheingauner“ gilt dies natürlich auch für die sog. Kabinette insbesondere aus der Mosel, die zudem mit dem moderaten Alkohol ihre Vorzüge ausspielen. Und die „Großen Gewächse“ gehören sowieso dazu. Aber natürlich auch die großen Weißweine aus Österreich haben dieses Potenzial.

Freilich steht das Gros der Weinkunden beim Weißwein auf frisch-fruchtige Weine, weshalb ich diese Schiene auch in meiner Sortimentsgestaltung bevorzugen muss. Trotzdem versuche ich Weißweine ins Programm zu nehmen, die eine gewisse Lagerfähigkeit haben.

 

Egal ob Rot- oder Weißwein: einen Parameter möchte ich den oben genannten noch hinzufügen. Es ist die Tatsache des Ausgangsprodukts Wein – also dem Traubengut. Gesundes Traubengut und entsprechend gute Verarbeitung ergeben einen soliden Grundstoff, der es auch bei nicht erwartbaren Sorten möglich macht, den Wein lange stabil zu halten. Hier sind die Liebe und Akribie der Winzer gefragt. Der Satz „Qualität entsteht im Weingarten“ ist deshalb ein Satz der Winzer, der fast auf jeder Homepage zu lesen ist und nicht als Phrase zu verstehen ist. Im Gegenteil: auch hier zeigt sich wieder mal der Unterschied zwischen industriell produzierten Massenwein und Winzerweinen, wie ich sie propagiere.